Published in: zweikommasieben Magazin #14
Über Möglichkeitsräume – Phuong-Dan
Ein DJ ist ein DJ ist ein DJ. Was für viele Plattendreherinnen gilt, beizeiten ergänzt durch das Produzieren eigener oder das Veröffentlichen anderer Musik, gilt für Nguyen Phuong-Dan so nicht. Nach dem Studium der Kulturanthropologie und visuellen Kommunikation in Hamburg ist das Organisieren der Partyreihe Gatto Musculoso im Golden Pudel Club sowie das Auflegen zwar ein wichtiger Teil seiner professionellen Praxis geworden, doch veröffentlicht er auch Bücher, hat jüngst die Arbeit an einem Dokumentarfilm abgeschlossen und ist in verschiedenen Rollen für verschiedene Kultur- und Kunstinstitutionen tätig. An einem spätsommerlichen Nachmittag in Hamburg changiert das Gespräch zwischen Reflexionen über das Dasein als DJ, seine kulturanthropologische Arbeit sowie Themen, die in beide Bereiche überstrahlen: Reissues, die Klubnacht als Konzept und den Golden Pudel als musikalische Heimat.
Mathis Neuhaus: Du hast unter anderem die Publikation Die Deutschen Vietnamesen [Peperoni Books, 2011] gemacht. Kannst du etwas über deine Projekte neben der Arbeit als DJ erzählen?
Nguyen Phuong-Dan: Es gibt bislang insgesamt drei Publikationen. Das erste Fotobuch ist noch vor Die Deutschen Vietnamesen im Rahmen meines Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg entstanden. Ich habe Kulturanthropologie an der Universität und visuelle Kommunikation an der HfBK studiert. An der Hochschule habe ich mit Dokumentarfilm angefangen und bin dann über die Beschäftigung mit aus Fotos montiertem Film zur Fotografie gekommen. Das in der ersten Publikation verwendete Bildmaterial wurde in Vietnam aufgenommen und war ursprünglich für einen Fotofilm vorgesehen. Nach langen inhaltlichen und formalen Überlegungen hat sich das Projekt zu einem Buch entwickelt. Es handelt von meiner ambivalenten Erfahrung als in Deutschland geborener Vietnamese im Herkunftsland meiner Eltern – vor dem Hintergrund mir in der Kindheit vermittelter Werte und Vorstellungen, die sich vor Ort teils betätigten aber oft auch aufhoben.
MN: Wie alt bist du?
NP: Ich bin 33 Jahre alt. Meine Eltern kamen in den Siebzigern nach Deutschland. Entsprechend sind mitgebrachte kulturelle Wertvorstellungen dieser Generation in Bezug auf Vietnam teilweise nicht mehr zeitgemäss. Aus der Distanz verfestigt sich ein Bild. Mir ging es um einen Abgleich, um eine Dekonstruktion und eine Aktualisierung meines vorgeprägten Blickes.
MN: Hast du damit abgeschlossen oder ist das etwas, das du dann auch weiterhin, auch als DJ, reflektiert hast?
NP: Das waren für mich immer zwei voneinander getrennte Bereiche. Das Interesse an Fragen zu Herkunft, Migration und Remigration kam mit meiner ersten Reise nach Vietnam und verstärkte sich dann später im Laufe des Studiums. Die Arbeit am zweiten Fotobuch bedeutete auch Abstand von meinen persönlichen Erfahrungen zu nehmen. Sehr viele Vietnamesen lebten vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges und des Kalten Krieges in Deutschland. Viele sind nach und nach entweder freiwillig oder unfreiwillig wieder zurückgekehrt. Uns – das Buch entstand zusammen mit dem Fotografen Stefan Canham – hat nicht nur visuell interessiert, wie diese Menschen heute in Vietnam leben; auch ihre persönlichen Geschichten im Zusammenhang mit ihrer Rückkehr waren uns wichtig. Wir haben mit ihnen deshalb auch biografische Interviews geführt. Es ging um Fragen wie: Was bedeutet es, nach Jahrzehnten nach Vietnam zurückzukehren? Wo sehen sich die Menschen in der Gesellschaft? Wie gestaltet sich das Alltagsleben und wo gibt es Konflikte? Es war sehr interessant Migration aus einer umgekehrten Perspektive zu beleuchten. Es gibt eine Menge zur Migration nach Deutschland – umso interessanter ist es, die Blickrichtung zu wechseln.
Die dritte Publikation ist dann im Rahmen eines Reisestipendiums von Annika Kahrs entstanden. Ich habe ihr bei einer Filmarbeit geholfen. Zu der abschliessenden Ausstellung gehörten auch ein Katalog und eine Edition, wofür wir Hochzeitspaare in Vietnam fotografiert haben. Thematisch geht es um Individualität und Konformität: Die Paare lassen sich Monate vor der eigentlichen Feier in westlicher Hochzeitskleidung fotografieren, meist vor touristisch sehr beliebten Sehenswürdigkeiten oder in Freiluft-Fotostudios. An den Orten halten sich oft gleichzeitig hunderte Paare auf. Wir haben dieses Szenario in eher nüchternen Making-of-Bildern festgehalten.
MN: Möchtest du deine Kombination der Professionen und Blickwinkel beibehalten?
NP: Definitiv. Es ist mir wichtig, in meinen verschiedenen Interessenbereichen zu agieren. Ich arbeite sehr gerne projektbasiert. Ich möchte mich ungern auf ein bestimmtes Format festlegen. Das aktuellste abgeschlossene Projekt ist zum Beispiel ein szenischer Dokumentarfilm, der dieses Jahr im Kino anläuft. Ich versuche mir immer bewusst zu werden, welche Themen mich interessieren und was das ideale Format dafür ist. Mittel- oder längerfristige Projekte bieten mir auch einen Ausgleich zum eher ephemeren Klubkontext.
MN: Siehst du in diesen Projekten dann auch die Chance, dir die Möglichkeit der Kooperation und Zusammenarbeit offenzuhalten?
NP: Ich finde den Prozess der Zusammenarbeit enorm spannend – im Sinne einer geteilten Autorenschaft. Dieser Modus kann sehr viel Potenzial haben und ist auch immer mit einer Aushandlung verbunden. Und vor allem gehört auch immer ein Kompromiss dazu. Bei der Musik ist das etwas anders. Als DJ handelt man zwar auch gemeinsam mit dem Publikum aus, wie sich der Abend gestaltet, ist dabei aber über Stunden auf sich allein gestellt. In einer nahezu egozentrischen Position.
MN: Dein Fokus beim Auflegen liegt, so würde ich jetzt behaupten, auf dem, was war. Wie geht dein Prozess des Musikfindens vonstatten? Hast du Routinen?
NP: Reine Rückgewandtheit stimmt nicht ganz. Es gibt auch eine Menge zeitgenössischer Musik, die mich interessiert. Ich höre mir alles an, was interessant erscheint. Das Spektrum ist einfach grösser, als wenn man sich auf eine Dekade oder zwei beschränkt. Ich suche auch nicht nur Musik, die sich meiner Meinung nach im Klub auflegen lässt – im Gegenteil. Grundsätzlich bin ich jeder Musikrichtung gegenüber offen. In allen Bereichen gibt es unglaublich tolle Sachen. Für mich zählen bestimmte Genrekategorien oder Entstehungsjahre nicht wirklich. Natürlich gibt es bestimmte musikalische Ansätze, Ästhetiken und Produktionsweisen, die ich lieber mag als andere. Viele davon sind in der Vergangenheit angesiedelt. Der schönste Moment ist aber das Entdecken, der Augenblick, wenn man in einem Plattenladen etwas findet, wovon man zuvor noch nie etwas gehört hat.
MN: Siehst du dich durch das, was du spielst, als Mediator für obskure Musik?
NP: Das ist eine Sache der Innen- und Aussenperspektive. Ein DJ hat unweigerlich auch eine vermittelnde Rolle. Deine Frage zielt ja eher auf abseitige Musik ab. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, im Vergleich zu anderen DJs, ein Botschafter für explizit seltsame Musik zu sein. Ich mag sehr gerne etwas entrückte Musik, die sich geläufigen Schemata widersetzt, aber nicht ausschliesslich. Ausserdem ist eine Klubnacht etwas Gemeinschaftliches. Die Kommunikation geht in beide Richtungen: Publikum und DJs bestimmen zusammen, wo es hingeht. Musikalisch und ästhetisch bewegt sich das, was ich spiele, natürlich innerhalb meines Referenzrahmens. Ich lege auf, was ich persönlich mag und versuche eine Atmosphäre zu schaffen und mit der Musik über den Abend eine Geschichte zu erzählen. Da geht es dann nicht mehr wirklich um einzelne Musikstücke oder -richtungen, sondern darum, wie man sie in einen Zusammenhang miteinander bringt und was für eine Stimmung dadurch entsteht. Das kann eben etwas abseitig, brüchig und unberechenbarer sein.
MN: Deine Partyreihe im Golden Pudel [siehe zweikommasieben #10], Gatto Musculoso, gibt es mittlerweile seit zehn Jahren. War es schon immer das Ziel der Party, einen Raum zu schaffen, in dem diese Art des Auflegens Platz hat?
NP: Mit Gatto Musculoso geht es um das Potential einer Nacht. Die Idee ist sehr eng mit dem Pudel selbst verbunden. Mir kam der Gedanke, als ich bei meinen ersten Besuchen diesen sehr freien, besonderen Geist des Ortes gespürt habe. Es ist ein unregulierter Ort. Ob man nun seltsame oder eingängigere Musik auflegt, ist nicht so entscheidend. Die Idee der Reihe ist die Auflösung von Konventionen, der Wille zu experimentieren und das ist im Golden Pudel mehr als möglich – aufgrund der Philosophie und Haltung des Klubs; und des sehr offenen Publikums natürlich. Es gibt viel zu wenige solcher Möglichkeitsräume. Der Salon des Amateurs in Düsseldorf ist einer der wenigen anderen beständigen Orte, die ähnlich funktionieren. Viele Leute müssen sich in anderen Städten immer wieder temporär, teils nur für einen Abend, solche Freiheiten schaffen. Ich habe da grossen Respekt vor.
MN: Ist dein Zugang zu Sets in der Nacht ein anderer, als zu Podcasts oder Online-Mixes?
NP: Bei Mixen schätze ich die Losgelöstheit vom Klub: Die Möglichkeit etwas Ruhiges aufzunehmen und Musik auszuwählen, die ich auch gerne zu Hause höre – eher Dysfunktionales – und damit eine Geschichte zu erzählen. Einen tanzbareren Mix aufzunehmen macht mir einfach weniger Spass. Schon deswegen, weil die Aufnahmesituation alleine in der Wohnung ziemlich absurd ist. Klub-Sets sind situativ, sie gehören in den Klub und sollten gemeinsam, in Anwesenheit und mit Hilfe eines Publikums, entstehen.
MN: Ein Aspekt, der ja auch im Warm-up eine grosse Rolle spielt. Die Möglichkeit, die eigene Plattensammlung noch einmal unter anderen Gesichtspunkten zu überprüfen.
NP: Ja absolut. Es wäre schön, wenn man im Klubkontext dafür generell mehr Interesse wecken könnte und die Leute dafür bewusst früher kommen würden. Nicht unbedingt in Form eines separaten Floors, sondern eher als eigenständiger Prolog der Nacht selbst. Der Pudel, zum Beispiel, öffnet um 22 Uhr. Meistens kommen die Leute sehr spät, voll wird es oft erst gegen 2 Uhr morgens. Ich geniesse es dort sehr, mit Musik den Abend einzuleiten, die sonst zu Hause bleibt oder eben in Podcasts zu hören ist. So kam auch die Idee zur Gatto Musculoso Listening Session. Meine DJ-Gäste und ich spielen uns in den ersten Stunden neue Entdeckungen oder Lieblingsstücke vor, was auch live über Berlin Community Radio übertragen wird. Nach und nach sind dafür ein paar Leute wirklich bewusst früher in den Klub gekommen.
MN: Hattest du je den Gedanken, ein Label zu gründen? Wir haben über den Fokus auf das, was war, gesprochen. Es gibt immer mehr Labels für Reissues, findest du so etwas interessant?
NP: Konkret gibt es für mich keinen Anlass ein Label zu gründen. Weder für Wiederveröffentlichungen noch für Gegenwärtiges. Grundsätzlich ist es eine super Sache, dass immer mehr vergessene, übersehene oder unzugänglich gewordene Musik für ein breiteres Publikum erreichbar wird. Auch die Möglichkeit, nie veröffentlichtes Material überhaupt hören zu können, ist grossartig. Da gibt es einige Labels, die sehr gute Arbeit machen. Zum Beispiel Offen Music oder Music From Memory, um nur zwei zu nennen. Ich denke, dass die Intention der Labelmacherinnen sehr entscheidend ist. Sind es inhaltliche Beweggründe? Oder rein ökonomische Interessen? Einige Reissues leben mehr von ihrer Exotik oder Exklusivität, weniger von der musikalischen Qualität. Problematisch wird es auch, wenn es nicht um die eigentliche Musik geht, sondern das Label nur als strategische Plattform genutzt wird, um auf weiteren Ebenen Aufmerksamkeit zu bekommen. Daran schliesst sich die Frage an, wie man mit den Künstlern umgeht. Sucht man sie auf, werden die Rechte geklärt, hat man auch tiefergehendes biografisches Interesse, um das Material angemessen aufzubereiten?
MN: OOR Records in Zürich ist hier ein schönes Beispiel: In der Vermittlung der Platten wird der Biographie der Künstlerinnen, die ja auch in letzter Konsequenz die sind, die [wieder] ins Scheinwerferlicht gezogen werden, ein angemessener Raum gegeben und so versucht zu vermitteln, in was für einer Tradition die jeweilige Musik hörbar sein kann.
NP: Das klingt gut! Genau diese Verantwortung sollte man als Label besonders im Umgang mit alter Musik tragen.
MN: Zum Abschluss: in letzter Zeit wurde viel über die Situation des Golden Pudels geschrieben. Der Ort ist noch einmal sehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt worden. Glaubst du, es kann mit dem Pudel so weitergehen wie in den letzten 20 Jahren? Was den Ethos betrifft, die Punk-Naivität, auch die Flexibilität?
NP: Ich denke, dass der Pudel von innen heraus ähnlich wie zuvor weitermachen wird. Vor dem Vorfall hatte er auch schon eine besondere Reputation gehabt. Und ja, er bekam durch die Umstände erhöhte Aufmerksamkeit. Es lässt sich nur schwer sagen, wie es nach der Wiedereröffnung aussieht. Inwieweit setzt sich die Offenheit, Lebendigkeit und Eigensinnigkeit auch an den Abenden fort? Das muss sich auch am Publikum zeigen, denke ich. Was sind die Erwartungen? Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf den ersten und alle darauffolgenden Abende. Der Pudel hat in der Vergangenheit auch Wandlungen erlebt und jeder Abend für sich war auch immer etwas unvorhersehbar und individuell. Nach all dem, was passiert ist – dem zeitlichen Bruch und der Aufmerksamkeit –, wird es mit Sicherheit wieder etwas anders werden. Das ist ja nicht unbedingt negativ. Da wird man mit umgehen können. Ich mache mir da keine grossen Sorgen.