Published in: zweikommasieben Magazin #19
Caterina Barbieri - Zeit werden
Caterina Barbieri schreibt Musik für die Ewigkeit. Ihre Stücke, die sich aus kristallklaren, manchmal auch opulenten und – wie sie selbst sagt – «emo» Klängen zusammensetzen, lassen Hörer sich in der Zeit verlieren – egal ob live oder auf der Platte. Ersteres konnte man schon im Rahmen verschiedener renommierter Festivals wie dem Berlin Atonal, der Bad Bonn Kilbi und dem Mutek Barcelona erleben; letzteres verantwortete unter anderem schon Important Records, Cassauna oder – wie im Falle ihres jüngsten Albums – Peter Rehbergs Editions Mego [siehe zweikommasieben #17]. Barbieris Werdegang führte sie ans Royal College of Music in Stockholm, wo sie Kali Malone [siehe Seite 00 in dieser Ausgabe] und Ellen Arkbro kennenlernte und mit denen sie in den folgenden Jahren zusammenarbeiten würde, bevor sie die schwedische Hauptstadt zu Gunsten Berlin, beziehungsweise seit kurzem wieder ihrer norditalienischen Heimat, verliess.
Mathis Neuhaus traf Barbieri in Mailand, um sie für zweikommasieben zu interviewen. Ursprünglich wollten sich die beiden in der Ausstellung Sanguine. Luc Tuymans On Baroque in der Fondazione Prada treffen, um sich auf das Gespräch einzustimmen. Schlechtes Zeitmanagement führte zu einer spontanen Planänderung. Die Idee des Zeitmanagements – oder Zeit an sich – zog sich jedoch wie ein roter Faden durch das Gespräch und entpuppte sich als Leitgedanke in Barbieris künstlerischem Schaffen.
Mathis Neuhaus: Du hast in Stockholm studiert. Inwiefern hat dich die Zeit in Schweden beeinflusst?
Caterina Barbieri: Ich zog 2013 nach Stockholm, um als Erasmusstudentin am Royal College of Music [Kungliga Musikhögskolan, auch KMH] zu studieren. Die Stadt hat eine spannende Musikszene, in der viele Produzentinnen mit langsamer Spektralmusik experimentieren, die man als Teil der Drone-Tradition verstehen kann. Während dieser Zeit arbeitete ich zum ersten mit Kali Malone zusammen. Wir lernten uns an der KMH kennen und freundeten uns in der Folge an. Auch treten wir gemeinsam als Upper Glossa auf. Wir benutzten vor allem elektrische Gitarren und verschiedene synthetische Klangquellen. Musikalisch gesehen unterscheiden sich unsere Hintergründe ziemlich stark, aber es gibt auch gemeinsame Bezugspunkte: abstrakter Metal und Noise, zum Beispiel – ich denke an Künstler wie Corrupted oder Keiji Haino – und auch Shoe Gaze. Wir interessieren uns für minimale Arrangements und Musik in reiner Stimmung. Hier kommen mir Duane Pitre und Eleh sofort in den Sinn. Frühe Musik inspiriert uns auch, vor allem die kompositorische Technik, verschiedene Klang- und Gesangsmuster zu überlagern, wie in Kanons, zum Beispiel. Das hat unseren Umgang mit Instrumenten, ob Gitarren oder Synthesizern stark beeinflusst.
MN: Du erwähnst Drone-Musik. Ich gehe davon aus, dass dieses Genre in Schweden weniger exotisch ist als an anderen Orten. Welchen Platz hat Drone in deiner Musik?
CB: Ich fand Drone und Minimal schon vor meinem Umzug nach Schweden interessant. Wenn ich darüber nachdenke, würde ich sogar sagen, dass Drone mir ursprünglich den Zugang zu elektronischer Musik verschafft hat. In Bologna sah ich verschiedene Minimalkomponisten, die dort im Rahmen von Angelica, einem Festival für zeitgenössische Musik, auftraten. In Stockholm fing ich erstmals an, diese Elemente in meine eigene Musik einfliessen zu lassen. Das KMH, was wirklich eine fantastische Institution ist, unterhält enge Beziehungen zu der lokalen Musikszene. Sowas findet man nicht oft: eine renommierte akademische Institution, die sich in der «echten» Szene engagiert.
Allerdings muss man auch sagen, dass die Faszination mit Drone-Musik einen engen Bezug zur schwedischen Identität und Lebensauffassung hat. Die Menschen vermeiden dialektische Kontraste und suchen immer nach einer friedlichen Art der Kommunikation, genauso wie Drone dialektische Kontraste und binäre Strukturen vermeidet oder auflöst. Musik beruht meistens auf Gegensätzen, wie zum Beispiel Dissonanz und Konsonanz, Spannung und Auflösung, Upbeat und Downbeat etc. Die musikalisch versöhnliche Natur der Drone-Musik wiederspiegelt die soziale Realität der Schweden, aber auch die sehr ungewöhnliche Landschaft. Die Stille eines schwedischen Sees ist die Stille von Drone. In diesem Sinne reflektiert das Interesse an solcher Musik die schwedische Verbundenheit mit der Nature sowie das dazu gehörende Gefühl der Isolierung und Einsamkeit.
MN: Ist es als Musikstudentin einfacher oder schwerer seine eigene künstlerische Stimme zu finden?
CB: Ich erinnere mich gut daran, wie verstört ich mich fühlte, als mir mein Lehrer am Conservatorio Giovanni Battista, wo ich ursprünglich studierte, sagte, dass Drone keine Musik sei. Wie alle Neunzehnjährigen war ich noch sehr beeinflussbar. Diese autoritäre Aussage kam mir unantastbar vor. Drone-Musik wird in akademischen Kreisen in ganz Europa nicht anerkannt und oft sogar stark kritisiert. So erging es a vorher auch Minimal Music, weil sie angeblich zu «einfach» war.
An der KMH war das anders. Ich konnte meinen eigenen Interessen folgen und meinen musikalischen Hintergrund in meinem Schaffen verarbeiten. Es war befreiend und hatte einen entscheidenden Einfluss auf meine Entwicklung als Musikerin. Allerdings verlor auch diese Einstellung irgendwann seinen Glanz. Stockholm und die KMH kamen mir plötzlich wie eine Blase vor, in der man gewisse politische und auch ästhetische Normen beachten musste. Man musste aufpassen, was man sagte und tat. In einem solchen standardisierten und festgefahrenen Umfeld «erfriert» die Kunst. Drone-Musik beruht auf einem ästhetischen Fundamentalismus, der ans Puritanische grenzt. Das führte immer öfter zu Problemen. Es fühlte sich erstickend an. Das war einer der Gründe, warum ich mich zum Umzug nach Berlin entschied. Aber dieser «Fundamentalismus» und der Hang zum «Sektiererischen» haben auch positive Auswirkungen: die Drone-Szene ist extrem stark. Es freut mich sehr, dass sie endlich den Respekt erlangt hat, den sie verdient – auch ausserhalb von Stockholm und Schweden.
MN: Langweilst du dich je beim Musikmachen? Findest du dich manchmal in Klangwelten wieder, die dich nicht so interessieren?
CB: Nein. Ich bin allerdings eine Person, die sich der Wiederholung obsessiv hingibt. Mit diesen Begriffen kann man meine Musik wahrscheinlich gut beschreiben. Manchmal kommt es mir so vor, dass meine Stücke Inkarnationen der gleichen Grundmatrix sind: eine Art harmonische, neurale Karte, die ich immer wieder aufs Neue ausfülle; als würde ich schon immer das gleiche Stück spielen. Ich kann wochenlang an einer einzigen Struktur arbeiten, ohne mich zu langweilen. Manchmal lasse ich Klangmuster stundelang laufen und höre zu… Ich mag es, wenn Strukturen innerhalb eines grösseren Ganzen zu etwas Eigenem werden, wie Zellen in einem Organismus oder Wörter in einer Sprache. DNA. Das Album Patterns Of Consciousness [Important Records, 2017] ist übrigens der Versuch, dieses Konzept musikalisch umzusetzen. Ich wollte eine Antwort auf die Frage, «kann Klang zu neuen Bewusstseinsstrukturen führen?» finden.
Über die Jahre hinweg habe ich gelernt, dass der langsame Weg der schnelle ist. Auf Dauer gesehen ist es viel befriedigender, sein Handwerk langsam und geduldig weiterzuentwickeln, als sich in den aktuellen Trends zu verfranzen. Was gerade gefragt ist, ändert sich ständig. Die Geschwindigkeit, mit der etwas auftaucht, zum Hype wird und wieder verschwindet, ist absolut verrückt. Aber wenn du dich auf dein Handwerk konzentrierst, den Umgang mit dem Instrument, dann kannst du dich nicht so einfach in kurzlebigen Sachen verrennen. Schliesslich geht man immer in eine bestimmte Richtung. Das heisst nicht, dass man keine Umwege macht, aber dass man sich immer wieder aufs Neue orientieren kann.
Es hat einige Zeit gedauert, bis ich das gelernt habe, und einfach war es auch nicht immer. Ich hatte eine Krise in der Zeit zwischen der Komposition von Patterns Of Consciousness und der Veröffentlichung des Albums. Für die Platte arbeitete ich auf einem reduzierten Eurorack. Es war «simplistisch» im Vergleich zu dem komplexen Buchla-200-System, auf dem ich meine ersten zwei Alben davor schrieb – Vertical [Cassauna, 2014] und Born Again In The Voltage [Important Records, 2018]. Auf allen Alben erkundete ich eigentlich ähnliche Konzepte –Wiederholung, lange Zeiträume, Wahrnehmung, Erinnerung und die psycho-physischen Effekte von Klang – aber die unterschiedlichen Geräte führten zu unterschiedlichen Resultaten: Patterns Of Consciousness war melodischer, schneller und pointillistischer. Die vorhergehenden Alben beruhten auf der subtilen Erkundung von Klangfarben. Ich war mir nicht sicher, ob ich auf meinem neuen, «simplistischen» Gerät überhaupt etwas Interessantes produzieren könnte. Diese Angst stellte sich als grundlos heraus. Während einem Jahr experimentierte ich obsessiv mit neuen Kompositionstechniken, Instrumenten und Herangehensweisen. Ich zwang mich dazu, abstrakte Ideen wie «Veränderung», «Komplexität» und «Experimentation» zu erkunden. Diese Ansätze waren aber zu spekulativ und konzeptuell. Die resultierenden Stücke waren langweilig oder fühlten sich unwahr an. Irgendwann akzeptierte ich die Begrenzungen des Euroracks. Anstatt sie zu brechen, erforschte ich diese Begrenzungen und kostete sie aus. Das war der Wendepunkt. Danach konnte ich mich als Künstlerin endlich weiterentwickeln und meinen Sound bewusster verfolgen. Nach Patterns Of Consciousness kehrte ich zur Buchla zurück und fügte nach und nach neue Elemente hinzu, mit denen ich mich über die Jahre vertraut gemacht hatte. Ich spielte auch oft live, um den Umgang mit meinem Instrument zu vertiefen. Das Endprodukt von all dem ist mein aktuelles Album, Ecstatic Computation [Editions Mego, 2019]. Jetzt habe ich wirklich eine Grundstruktur, eine musikalische Grammatik, auf der ich alles aufbauen kann. Ich bin davon überzeugt, dass im Schaffen jeder Künstlerin eine Wahrheit steckt, die bestimmt, was sie macht und wer sie ist, und das hat nichts mit Ästhetik oder Zeit zu tun. Es ist das einzige, das im Endeffekt eine Rolle spielt. So einfach ist es. Es herauszufinden, ist allerding schwer.
MN: Du bist schon an einigen aussergewöhnlichen Orten aufgetreten. Welche Rolle spielen die Räume, bzw. Räumlichkeiten für dich als Musikerin?
CB: Die Eigenschaften bestimmter Konzerträume haben mein musikalisches Denken mitgeformt. Das Kraftwerk in Berlin, zum Beispiel. Es war einer der ersten Orte, in denen ich meine musterbasierten Stücke gespielt habe. Viele der Künstler, die dort auftreten, schreiben Musik, die sich auf Texturen und dunkle Klänge stützt. Vielleicht ist das so, weil das karge, fast schon gespenstische Zementgebäude industrielle Assoziationen hervorruft, oder vielleicht, weil sich die Musikerinnen Sorgen um den Hall in so einem riesigen Raum machen. Ich habe das Gegenteil gemacht: Ich wollte wissen, wie sich einzelne, helle und scharfe Klänge dort verhalten würden. Es war eine unglaubliche Erfahrung, den Abbau der Klänge in dieser gigantischen Halle zu hören, wie sie sich überlagern und sich zu einer eigenen Textur entwickeln: Reflektionen, Echos, Ping-Pong-Effekte und Hall klingen plötzlich mit und werden Teil der Musik. Man kann das mit den Kirchen vergleichen, in denen die Architektur neue Stimmen erklingen lässt. Der Raum selbst wird zur Musik. Er wird Zeit. Jede musikalische Geste entwickelt sich zu etwas Gigantischem, etwas Immensem. In so einer Umgebung zu spielen, gibt einem ein unglaubliches Gefühl der Macht – man fühlt sich wie ein Gott. Als Kind hatte ich so ein Gefühl auch schon, wenn ich laut im Treppenhaus sang. Ich war total eingenommen vom Echo meiner Stimme über den Marmorstufen. Das war allerdings weniger hinreissend für meine Nachbarn. [Lacht]
Ich glaube, dass diese intime Beziehung zwischen Klang und Raum auf ein uraltes Gefühl zurückgeht, das seine Wurzeln tief im Akt des Musikmachens hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass etwa die Echos in Tälern erstmals die musikalische Vorstellungskraft vorzeitlicher Menschen anregte und dass die Architektur bestimmter Kirchen zur Entwicklung polyphonischer Musik beitrug.
MN: Deine Musik hört man sich am besten in Ruhe und besonnen an. Mir scheint, als ob man sich deine Musik am besten mit Kopfhörern anhört. Wie wirkt sich das auf der Bühne aus?
CB: Ich finde, dass meine Musik besser als Performance funktioniert als auf einer Platte. Meine Stücke sind lebendig im Sinne, dass sie sehr eng mit der Arbeit auf dem Synthesizer verbunden sind. Auf den Alben hört man oft nur eine der möglichen Versionen eines Stücks. Wenn ich Musik mache, erzeuge ich Sound im Moment. Es ist sehr schwer, dieses Element auf einer Aufnahme festzuhalten. Im Endeffekt ist eine Aufnahme tot. Dieser Live-Aspekt ist mir extrem wichtig. Es gibt meiner Musik viel mehr Tiefe, weil ich den Prozess als organisch erlebe und die Musik selbst zu einem lebendigen Organismus wird. Auf der Bühne kann ich die Musik anders entfalten, innere Gesetze und Traditionen erkennen und diese auskosten. Mir kommt es vor, dass ich mit meiner Musik wachse, je häufiger ich auftrete.
Ich sollte auch erwähnen, dass ich stark von der hindustanischen Improvisationstradition des Raga beeinflusst bin, in dem jede Performance sich von der vorhergehenden unterscheidet, sich aber auf strikte Disziplin und Vertrautheit mit einem bestimmten musikalischen Vokabular beruft. Die Idee, dass jeder Raga von Grund auf neu erspielt werden muss, ist Teil einer Philosophie, die eine direkte Verbindung zwischen dem Leben und der Musik sieht: fliessend, erklingend, die Gesetze des Universums als Echo wiedergebend. So gesehen ist Musikmachen ein Prozess der Wiedergeburt, «sich ins Sein begeben», ein kreativer Vorgang, der sich auf die Existenz des ganzen Universums auswirkt.
MN: Können Fehler und Frustration bei Live-Shows sich auch positiv auswirken?
CB: Daran besteht gar kein Zweifel. Die Möglichkeit, etwas falsch zu spielen, macht jede Performance einzigartig. Das ist gleich wichtig für die Künstlerin wie für das Publikum. Als Künstler gibt man dem Publikum eine Gelegenheit, stärker am kreativen Prozess teilzuhaben, wenn man gewisse Risiken eingeht. Mir ist über die Jahre klargeworden, dass Zuschauerinnen das geniessen, weil man ihnen die Gelegenheit bietet, sich vorzustellen, was als Nächstes kommt. Man füttert ihre Vorstellungskraft. Es ist sehr subtil, eine Mischung aus Verletzlichkeit und Adrenalin, die der Musik Atem verleiht… Es ist wunderschön und speziell und es erzeugt Aufmerksamkeit. Die Leute mögen das, scheint mir. Aber es hat lange gedauert, bis ich mir das eingestehen und es geniessen konnte. Bei den ersten Auftritten fürchtete ich mich vor Fehlern.
MN: Deine Musik wird oft als «minimal» beschrieben und das hat etwas. Gleichzeitig klingen einige deiner Stücke «barock». Wie stiehst du das?
CB: Ich wurde als klassische Gitarristen ausgebildet. Meine Lieblingsstücke waren entweder zeitgenössisch oder stammten aus der Renaissance und dem Barock – John Downland und Johann Sebastian Bach mochte ich zum Beispiel sehr. Mein Musikgeschmack während meiner Studienzeit bestand aus einer schrägen Mischung scheinbar gegensätzlicher musikalischer Einflüsse: Barock, Minimal, Doom, Shoe-Gaze. Tagsüber spielte ich sechs Stunden lang klassische Gitarre am Konservatorium und abends übte ich mit verschiedenen Noise-Bands in einem heruntergekommenen Bandraum. In diesen Bands spielte ich elektrische Gitarre mit Verzerrung; aber ich spielte mit langen Fingernägeln, weil ich nicht wusste, wie man ein Plektrum benutzt! Zu der Zeit war ich eine bipolare Musikhörerin. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese verschiedenen Welten zusammenbringen könnte. Jetzt weiss ich nicht nur, dass es möglich ist, sondern dass es zu interessanten Resultaten führt.
Ein Stück auf meinem aktuellen Album basiert auf einer Aufnahme eines französischen Cembalos aus dem 18. Jahrhundert, das ich im Studio Venezia – eine Installation von Xavier Veilhan im französischen Pavillon, die Teil der letzten Biennale in Venedig war – benutzen durfte. Die Klangfarbe des Cembalos entspricht meinem Geschmack für synthetische Klänge: es zieht stark und einschlagend an, baut sich schnell ab, was zu einem spitzen, hellen und kristallenen Klang führt, der dem einer Gitarre ähnlich ist. Das Stück auf dem Album basiert auf einer langsamen Akkordabfolge, kombiniert mit Gesang aus der italienischen Renaissance, die ich stark bearbeitet und zu etwas Neuem weiterentwickelt habe. Das Stück heisst «Arrows Of Time», weil es sich anfühlt, als ob es aus einer anderen Zeit stammt. Mir gefällt, wie Musik Hörer durch die Zeit transportieren kann. Musik kann durch die Zeit reisen und wir mit ihr. Allerdings ist Musik auch immer im «Jetzt».
MN: Beim Thema Barock muss man auch über Opulenz und Kitsch sprechen. Findest du, dass man deine Musik mit diesen Begriffen beschreiben kann?
CB: Mich sprechen die extremen Unterschiede im Barock an. Ich verwende oft bestimmte Elemente, zum Beispiel repetitive Strukturen und festgestimmte Instrumente, die «berechenbar» klingen können, aber diese Elemente zerre ich gerne ins Extreme. In diesem Sinne ist meine Musik «barock». Ich mag diese Vorgehensweise, durchschaubare Elemente so zu verändern, dass man sie anders wahrnimmt, als nähme man sie als Halluzinationen wahr – ein bisschen wie die Trompe-l’oeil-Effekte in barocken Deckengemälden. Anstelle von Winkeln und Heiligen, arbeite ich mit Mustern und Sequenzierungstechnicken, um menschliche Wahrnehmung zu erkunden.
MN: Obwohl deine Musik als minimal bezeichnet wird, ist sie manchmal auch «maximal»…
CB: La Monte Young verstand sein Meisterwerk, The Well-Tuned Piano, als maximal, nicht minimal. Die Ästhetik des Barocks verlässt sich auf den Effekt von Pathos und verstärkt emotionale Aspekte, was mich anspricht. Ich mag eine gewisse «Emo»-Stimmung und das kommt ganz bestimmt von meiner Vorliebe für Barock. John Dowlands Musik ist ein gutes Beispiel. Er lebte im elisabethanischen Zeitalter und schrieb Stücke für Lauten, Gambe und Gesang. Seine Texte gehören in die gleiche Kategorie wie die metaphysische, spirituelle Lyrik der Zeit – etwa jene von John Donne. Melancholie und Tränen aus Kristall – sehr emo! Dieser traurige, tragische Aspekt der Musik, der auch eine romantische und epische Seite hat, gefiel mir schon immer.