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Gute Neuigkeiten
Es ist Zeit für ein Gegengewicht zur negativen Berichterstattung in den Nachrichten. Die amerikanische Plattform RYOT nimmt sich dieser Thematik an.
Eine 2015 erschienene Forsa-Umfrage legt dar, dass 45 Prozent der Befragten die Nachrichten im deutschen Fernsehen als «zu problembeladen» empfinden; 35 Prozent bekannten, dass die Nachrichten ihnen Angst machten. Diese Beobachtung haben bereits in den Jahren zuvor verschiedene Journalisten weltweit zu ihrem Thema gemacht und einen Diskurs über positiven und konstruktiven Journalismus angeregt. Der dänische Journalist Ulrik Haagerup leitet sein 2015 erschienenes Buch «Constructive News» folgendermaßen ein: «Millionen Leser, Hörer und Zuschauer kehren den alten Medien den Rücken. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass die Menschen krank und müde vom negativen Bild der Welt sind, das die Journalisten ihnen präsentieren. Die meisten Nachrichten-Storys sind reduziert auf Konflikt, Drama, Verbrecher und Opfer. Sie nützen weder der Presse und dem Journalismus noch den Gesellschaften, denen wir, die Medienleute, zu dienen behaupten.» Ein Drittel der Teilnehmer der zuvor erwähnten Forsa-Umfrage betont, dass sie sich intensiver mit Nachrichten auseinandersetzen würden, wenn es mehr positive Berichte gäbe und 80 Prozent fänden konkrete Lösungsansätze wünschenswert.
RYOT, eine im Jahr 2012 in Venice Beach gegründete Newssite, nimmt sich dieser Thematik an: Es ist die erste Plattform, die jede publizierte Nachricht mit einer Handlungsperspektive verknüpft – sei es durch das Unterschreiben einer Petition, der Möglichkeit, sich für eine Abstimmung zu registrieren oder einem direkt eingebetteten Spendenaufruf. So ist ein Bericht über ein Ölleck im Amazonas verbunden mit der Möglichkeit, für die Nichtregierungsorganisation Oceana zu spenden, die sich für den Schutz und Erhalt der Ozeane einsetzt; ein Video über die Präsidentschaftswahl in Amerika ist mit einem Link zum National Democratic Institute verknüpft, einer parteilosen Organisation zur Information über demokratische Vorgänge weltweit. Das Konzept von RYOT, Nachrichten von einem einseitigen Informationsfluss in eine tatsächlich interaktive Erfahrung umzumodellieren, wird unterstrichen im Claim der Plattform – «Every Story Lets You Take Action» – und gipfelt in der partizipativen Aufforderung: «Become The News.»
Positives im Negativen aufzeigen
Hinter RYOT stehen die humanitären Filmemacher Bryn Mooser und David Darg. Diese wurden bekannt durch ihre 2012 erschienene Kurzdokumentation «Baseball in the Time of Cholera», welche die Spannungen zwischen Haiti und den Vereinten Nationen skizziert, die zur damaligen Zeit die Verantwortung für eine Choleraepidemie im Land abstritten. Weitere Arbeiten der beiden Gründer behandeln den Hurricane Sandy, die Ebola-Epidemie in West-Afrika 2014 oder das Erdbeben in Haiti im Jahre 2011 –allesamt Filme mit dem Anspruch sozialer Relevanz und geprägt von der Bemühung, Positives im Negativen aufzuzeigen.
Die von den beiden Filmemachern nach diesem Credo implementierte Seite präsentiert sich als Plattform, die Nachrichten auf verschiedene Arten darstellt: «News», «Films», «Virtual Reality», «Creative» und «Foundation» sind die klassifizierenden Schlagwörter, hinter denen sich, in Reihenfolge der Aufzählung, Nachrichten, kurze Dokumentationen, sogenannte 360 Grad Videos, eine Kreativagentur und eine Stiftung, die 2011 ebenfalls nach dem Erdbeben in Haiti entstanden ist, verbergen. Ein umfangreiches Angebot, das von 33 Mitarbeiter_innen gestaltet wird und ungefähr zwei Millionen individuelle Seitenaufrufe pro Monat zur Folge hat. Gegründet und finanziert durch Investorenkapital, unter anderem des Kanadiers Gareth Seltzer, hat die Plattform außerdem in den ersten zwei Jahren nach Gründung über 1,3 Millionen Dollar für ausgewählte Nonprofit-Organisationen generiert. Ermöglicht hat dies ein Werbemodell, das den Organisationen je mehr Geld auszahlt, desto häufiger der Artikel über die jeweilige Thematik gelesen wird. Ein Mechanismus, den es auch kritisch zu hinterfragen gilt – liegt doch die Auswahl der Institutionen oder Organisationen, welche durch Spendenaufrufe verlinkt werden und einen Grossteil der Interaktion auf RYOT erzeugen, bei den Machern der Seite.
Gegen die Gleichgültigkeit
Derartigen Kritikpunkten entgegnet der deutsche Kommunikationswissenschaftlicher Dr. Oliver Bidlo in seinem Buch «Positiver Journalismus», dass es beim Angebot konkreter Handlungsperspektiven nicht etwa um «Propaganda oder Public Relations» gehe, sondern um die „Wichtigkeit der Differenzierung und des lösungsorientierten Schreibens». Seine Definition des positiven Journalismus meint explizit nicht die positive Darstellung eines negativ bewerteten Sachverhalts, sondern beschreibt den Ansatz, in der Gesamtheit der journalistischen Berichterstattung positiven Nachrichten einen größeren Raum einzuräumen. Ebendieser Forderung nach größerer Differenzierung wird RYOT durch den implementierten «Take Action»-Button gerecht: der Button legt die Möglichkeit der Partizipation offen und lenkt die Aufmerksamkeit auch auf humanitäre Institutionen und Organisationen, die gute und hoffnungsvolle Arbeit in verschiedensten Krisengebieten leisten.
Konstruktiv sein wollen die Nachrichten auf RYOT also auf jeden Fall in dem Sinne, als dass mittels konkreter Handlungsperspektiven Gefühle der Desillusionierung und Ohnmacht seitens der Rezipienten vermieden werden sollen – und damit auch eine Abwehrhaltung und sich langsam etablierende Gleichgültigkeit. Mehr denn je ist eine global agierende, verantwortungsbewusste Öffentlichkeit vonnöten, die sich in Schlüsselproblemen engagiert, die unsere kollektive Zukunft prägen werden. Die Nachhaltigkeit des Engagements per Mausklick bleibt dabei weiter zu überprüfen. Fest steht jedoch: die Möglichkeit, global zu agieren und über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg schnell und unkompliziert aktiv zu werden, wurde durch die Gründung von RYOT ein bisschen einfacher.
Zum Weiterlesen:
Ulrik Haagerup: Constructive News. Warum „bad news“ die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren. Oberauer, 2015
Dr. Oliver Bidlo: Dialektik des Negativen. Probleme des positiven Journalismus. In: Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg.). Positiver Journalismus, UVK, 2015, S. 37-48.