Published in: Kunstbulletin 5/2018
Jeppe Hein - Der Mönch, der seinen Ferrari verkaufte
Die Biographie Jeppe Heins ist geprägt von einer Zäsur. Ein Burnout zwang den dänischen Künstler im Jahre 2009 zu einer Vollbremsung und zu einer Neuevaluation seines Lebens, seines Werkes und seiner Art des Arbeitens. Die Einzelausstellung ‹Einatmen – Innehalten – Ausatmen› im Kunstmuseum Thun gibt intimes Zeugnis dieser Reflektion und lädt dazu ein, es dem Künstler gleichzutun.
Jeppe Hein begrüsst die versammelte Presse mit der Einladung zu einem Spiel. Der in Kopenhagen geborene Däne, der schon lange in Berlin lebt und arbeitet, evoziert eine kindliche Freude und unprätentiöse Nahbarkeit. Eine Hand auf der Schulter des Gegenübers, Augenkontakt und sein T-Shirt, auf dem ‹I am right here, right now› geschrieben steht, zeugen von einer Offenheit, die nicht immer selbstverständlich ist in der Begegnung mit Künstlern und ihrer Kunst. Und so nimmt man die Einladung selbstverständlich gerne an. Das Eisbrecher-Spiel, der thematischen Klammer des Atmens der Ausstellung im Kunstmuseum Thun entsprechend, verlangt von den Anwesenden, eine Feder ohne zur Hilfenahme der Hände durch den Raum schweben zu lassen. Das sorgt in Teilen für Spass, Irritation und Erhellung, denn dieser kurze Moment zeigt: Jeppe Hein ist niemand, der sich hinter verklausulierter Insidersprache versteckt oder den über den Dingen schwebenden Genius geben möchte.
Everybody’s Darling
Jeppe Hein wurde 1974 in Kopenhagen geboren und studierte sowohl an der Royal Danish Academy of Arts in Kopenhagen, als auch an der Städelschule in Frankfurt am Main. Der junge Künstler machte sich nach der Jahrtausendwende schnell einen Namen in der internationalen Kunstwelt, massgeblich durch die Arbeit ‹360° Presence›, die er 2002 beim damals noch am Beginn seiner Karriere stehenden Galeristen Johann König in Berlin zeigte. Retrospektiv erscheint diese Arbeit untypisch für den heute so in sich ruhenden Jeppe Hein: eine Stahlkugel liegt bewegungslos im Raum, bis jemand diesen Raum betritt. Dann setzt sie sich, gesteuert von einem Sensor, in Bewegung und zerstört unaufhaltsam und mit aggressiver Dringlichkeit die Umgebung. So lange, bis der Raum wieder der Kugel allein gehört. Johann König hat in Interviews oft erwähnt, dass diese Arbeit den Durchbruch seiner Galerie bedeutete. Auch Jeppe Hein avancierte damit zum festen Bestandteil des globalen Kunst-Jetsets, verknüpfte er doch elegant formalen Minimalismus mit disruptiven Elementen und Fragestellungen. Dass diese Entwicklung zum Kunst-Star nicht ohne Folgen bleiben sollte, ist mittlerweile bekannt. 2009 folgte ein Burn-Out und seitdem kommt kein Text, auch dieser nicht, ohne Verweis auf die Erkrankung Jeppe Heins aus.
Vollbremsung
Die Frage, ob er darüber nachgedacht habe, das Künstlerdasein aufzugeben, beantwortet Jeppe Hein, in sympathisch Dänisch eingefärbtem Deutsch, so: «Zunächst musste ich aufhören mit allem, was ich gemacht habe – full stop. Dann habe ich angefangen, Aquarellzeichnungen zu malen, als visuelles Tagebuch meiner Krankheit, aber ohne mir sicher zu sein, diese jemals zeigen zu wollen.» Eine Auswahl dieser Aquarelle ist nun in Thun zu sehen und sie offenbart eine neu entstandene Sicht des Künstlers auf die Welt. Yoga, Meditation und eine stete Bewusstmachung der eigenen Situation sind wiederkehrende Themen, die Halt gaben und geben und zum festen Bestandteil seiner Kunst nach 2009 wurden. Im Gespräch sagt der Künstler: «Ich habe 912 Bilder gemalt, mittlerweile sind es über 3000, und sehnte mich nach einem Dialog. Diese Selbstoffenbarung war zunächst komisch, aber ich habe gemerkt, dass die Aquarelle mit vielen Leuten resonieren.» Jeppe Heins offener Umgang mit der Krankheit ist seitdem ebenfalls programmatisch und deswegen wohl auch immer wieder Thema in Texten und Gesprächen. Seine Kunst ist ein in Skulpturen und Installationen geformter Appell der Entschleunigung; ein Plädoyer für Spiritualität und Meditation, ohne missionieren zu wollen: «Die Leute können selber entscheiden, ob sie der Spiritualität in meiner Kunst folgen möchten. Für mich ist sie wichtig, aber es ist mir nicht wichtig, dass sie für andere auch wichtig ist. Es gibt auch andere Zugangsweisen zu meinen Arbeiten.»
Der kleinste gemeinsame Nenner
Diese anderen Zugangsweisen werden offensichtlich, wenn man sich die Ausstellung in Thun genauer anschaut. Das Atmen, ein auf den ersten Blick etwas beliebig scheinendes Ausstellungsthema, wird zum kleinsten gemeinsamen Nenner, der unterschiedliche Lesarten zulässt. Die Spiritualität, die Jeppe Hein wichtig (geworden) ist, lässt sich ausblenden für konventionellere Bezugspunkte. So fällt zum Beispiel auf, dass die 15 gezeigten Arbeiten, von denen nur drei vor 2009 entstanden, immer noch mit einer äusserst reduzierten Formsprache auskommen. Am deutlichsten wird diese Reduktion bei der Arbeit ‹Smells like…Stillhet› aus dem Jahre 2014, die, der Titel verrät es, der Versuch des Künstlers ist, Stille in einen Duft zu giessen. Dieser mäandert nun durch die hohen Räume des Kunstmuseum Thuns und riecht subtil wie der norwegische Wald. Ebenfalls sehr minimalistisch ist die Arbeit ‹Breath II› aus diesem Jahr, in der Jeppe Hein seinen eigenen Atem in Glaskugeln gefüllt hat, die aussehen wie Seifenblasen oder bunte Ballons. Der unsichtbare und formlose Inhalt wird erst sichtbar durch die farbige Hülle, die den Atem zur Skulptur transzendieren lässt. Visuell am abwechslungsreichsten und überbordend sind dann vor allem die erwähnten Aquarellzeichnungen, die einen tiefen Einblick in das Leben und die Gemütszustände Jeppe Heins geben: mal düster, mal hell, ohne Filter und immer beeinflusst durch seine Umgebung und Situation eröffnen sie ein Seelenpanorama, mit dem der Künstler seinen alltäglichen Umgang mit der Krankheit offenlegt. Und so geht man durch die Ausstellung und stellt fest, dass es sich bei ‹Einatmen – Innehalten – Ausatmen› um ein ausuferndes Selbstportrait handelt, das den Besuchern der Ausstellung gleichzeitig ermöglicht, immer wieder den Blick auf sich selbst zu richten. Sei es durch den Blick in die vielen Spiegel, die schon immer ein wichtiges Element der Kunst Jeppe Heins waren, oder eine Arbeit wie ‹Breathing Watercolours›, die alle Gäste der Ausstellung dazu einlädt, im Rhythmus ihrer Atmung blaue Pinselstriche auf die Museumswände zu malen. Und so wird man zum Komplizen in Jeppe Heins Streben nach Entschleunigung und einem bewussteren Leben.
Herzkunst
Auf die Frage, ob seine Kunst nicht so etwas wie die Antithese zur vorherrschenden rechercheintensiven und minutiös ausdefinierten Gegenwartskunst sei, antwortet der Künstler: «Ich mache Kunst mit dem Herzen, andere mit dem Kopf. Ich glaube, damit treffe ich einen Nerv der Gesellschaft. Wir brauchen manchmal Ruhe vom Kopf.» Das zeigt sich in Thun unter anderem daran, dass die Ausstellung vollständig ohne Wandtexte auskommt, die auf doppelte Böden in den Arbeiten hinweisen oder Kontext liefern müssten. In Zen-Manier sagt Jeppe Hein zu seiner Herzkunst: «Ich habe manchmal das Gefühl, dass meine Kunst von einigen nicht ernst genommen wird, aber das ist auch völlig in Ordnung. Ich kann nicht Kunst für alle machen. Ich würde das gerne machen, aber ich würde auch gerne die ganze Welt retten.» Das ist natürlich klar: die ganze Welt rettet Jeppe Hein mit seiner Kunst nicht, für seine eigene Rettung aber war sie entscheidend. Und nach dem Gespräch mit ihm denkt man noch einmal zurück an die Arbeit, die alles ins sprichwörtliche Rollen brachte und stellt fest: sie passt doch noch zu diesem Künstler, der auf sie angesprochen mit einer Anekdote antwortet: «Ich sammle sehr viel Kunst. Ein junger Künstler, aus Dänemark, von dem ich zum Beginn seiner Karriere sehr viele Arbeiten gekauft habe, schrieb mir vor kurzem und fragte, ob er sie zurückkaufen und mir dafür neue Bilder geben könnte. Die Anfrage habe ich abgelehnt. Ich finde es sehr wichtig zu wissen, was für eine Person er damals war, genauso wie ich es wichtig finde zu wissen, was für eine Person ich war. Ich war der Künstler, der die Galerie mit der Kugel zerstört hat. Der damit alles in Frage stellen wollte.» Die Fragen, die sich Jeppe Hein stellt, sind im Laufe der Jahre andere geworden. Die Ausstellung im Kunstmuseum Thun lädt dazu ein, gemeinsam mit ihm über sie nachzudenken und eröffnet die reizvolle Möglichkeit, dadurch auch etwas über sich selbst zu erfahren.
Jeppe Hein (*1974, Kopenhagen) lebt und arbeitet in Berlin und Kopenhagen
1997 Royal Danish Academy of Arts, Copenhagen1991 Städel Hochschule für Bildende Künste, Frankfurt am Main
Einzelausstellungen (Auswahl)2015 ‹This Way›, Kunstmuseum, Wolfsburg2010 ‹1 x Museum, 10 x Rooms, 11 x Works›, Jeppe Hein, Neues Museum, Nürnberg 2009 ‹Please, Please Please ... ›, Contemporary Art Gallery, Vancouver 2007 ‹Distance›, The Curve, Barbican Art Centre, London 2004 ‹Flying Cube›, MoMA P.S.1., New York 2002 ‹360° Presence›, Johann König, Berlin
Gruppenausstellungen (Auswahl)2017 ‹Miroir Miroir›, MUDAC, Lausanne2013 ‹DYNAMO. A century of light and movement in the art. 1913- 2013›, RMN, Grand Palais, Paris 2008 ‹Wonder›, Singapore Biennial, Singapore 2008 ‹The World as a Stage›, ICA, Boston 2005 ‹Ecstasy. In and about altered states›, MOCA, Los Angeles 2002 ‹I promise it is political›, Museum Ludwig, Köln