Published in: zweikommasieben Magazin #15
Interstellar Funk - Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Das Geschäft mit elektronischer Musik floriert in Amsterdam und das Nachtleben ist zu einem integralen Bestandteil der Aussenwahrnehmung der Stadt geworden. Im Inneren sorgt ein Nachtbürgermeister für Vermittlung zwischen Ämtern und der Szene. Der Qualitätsanspruch der Niederländer spiegelt sich im Niveau der musikalischen Institutionen der Stadt: Dekmantel, Rush Hour oder De School sind vitale Grossunternehmen, die eine touristische Strahlkraft besitzen, und gleichzeitig wichtige Fixpunkte für die Amsterdamer Szene sind. Ein durchlässiges, in beide Richtungen geöffnetes Konzept scheint in der Stadt am Werk zu sein. In der Umlaufbahn der genannten Institutionen befindet sich auch der DJ und Produzent Olf Van Elden aka Interstellar Funk, der nicht nur Resident in De School ist, sondern auch auf Dekmantel und Rush Hour Platten veröffentlichte – neben weiteren Veröffentlichungen auf L.I.E.S. oder Berceuse Heroique – und bereits seit seiner Teenager Zeit im Nachtleben der Stadt unterwegs ist.
Mathis Neuhaus: Du hast am vergangenen Wochenende in Tiflis in Georgien gespielt. Was ist deine Meinung zu der Szene dort?
Olf Van Elden: Ich finde es sehr interessant, dass das Nachtleben in Georgien, und vor allem in Tiflis, noch eine sehr neue Entwicklung ist, aber bereits eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung der Stadt einnimmt. In Tiflis gibt es vier oder fünf sehr gute Clubs, die alle auf ihre eigene Art versuchen, die Szene zu bereichern. Bassiani oder Mtkvarze sind zum Beispiel zwei dieser Clubs – im Mtkvarze habe ich für ein Kollektiv Namens Vodkast. Das Kollektiv betreibt seit zwei Jahren den einzigen Plattenladen in Tiflis. Sie organisieren ausserdem ein Festival, das dieses Jahr seinen fünften Geburtstag feiert und machen einen Podcast, daher der Name. Irgendwann haben sie dann auch angefangen, Partys in Clubs zu organisieren. Vodkast, und andere Veranstalter, halten die Szene in Tiflis in Bewegung.
MN: Ich finde den Vergleich zwischen Amsterdam und Tiflis spannend, denn Amsterdam ist, was das Nachtleben angeht, unglaublich professionell.
OvE: Das stimmt auf jeden Fall. Tiflis ist eine ziemlich raue und, unter dem Gesichtspunkt des Nachtlebens, unentwickelte Stadt. Das Nachtleben in den Niederlanden wiederum hatte seinen Ursprung in Amsterdam in den 1980er Jahren und verfügt deswegen bereits über eine gewisse Tradition.
MN: Glaubst du, der Szene in Amsterdam fehlt auf Grund dieser Professionalität etwas?
OvE: Selbstverständlich ist es immer möglich, Dinge zu verbessern, auch in Amsterdam. Es ist zwar sehr fortschrittlich, wie der Bürgermeister das Nachtleben akzeptiert und zum Teil des Stadtlebens macht, durch die 24-Stunden Lizenzen für Clubs oder die Möglichkeit, Drogen testen zu lassen, aber trotzdem: Ich finde zum Beispiel, dass die Szene in Amsterdam durch einige kleinere Clubs gewinnen würde.
MN: Mir ist klar, dass die Verwendung des Wortes Underground immer gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt, dennoch: Denkst du, dass der «Underground» in Amsterdam durch diese Professionalisierung geschluckt wird?
OvE: Das mag in gewisser Weise stimmen, aber ich denke, dass die Musik, die in Amsterdam im Nachtleben eine Rolle spielt, immer noch zu einem grossen Teil den sogenannten Underground bedient. Der Begriff birgt jedoch eine gewisse Problematik, wenn du einen Club mit 1500 Leuten füllst oder ein Festival mit 50 000. Aber wenn man sich anschaut, was Institutionen wie De School oder Dekmantel für eine Idee verfolgen, scheint es, dass sie eine Möglichkeit gefunden haben, das Beste beider Welten zu präsentieren. Ich bin mir sicher, dass viele Leute das Dekmantel wegen der grossen Namen besuchen und von den kleineren Künstlern und Künstlerinnen noch nie etwas gehört haben. Aber während des Festivalbesuchs beschäftigen sie sich vielleicht auch mit den kleineren Namen und erweitern so ihren musikalischen Horizont.
MN: Wir haben über Georgien geredet und es scheint, als hättest du eine Verbindung nach Osteuropa. Du wirst dort regelmässig gebucht und spielst oft Musik aus der Region in deiner Radiosendung bei Red Light Radio.
OvE: Ich weiss nicht, ob das eine bewusste Verbindung oder Entscheidung ist. In der Sendung versuche ich Musik zu spielen, die unbekannter ist und nicht notwendigerweise für den Dancefloor produziert wurde. Ich fokussiere mich ausserdem stärker auf dunklere Sounds, vieles davon aus den 1980er Jahren. Und der östliche Teil von Europa hat dahingehend natürlich eine sehr interessante Geschichte. Jedes Mal wenn ich in Belgrad bin gehe ich zu diesem Plattenladen Yugovinyl und in gewisser Weise ziehen mich die Platten an, das stimmt. Aber es nicht so, dass ich ausschliesslich osteuropäischen House spiele. Das hört sich ohnehin nach einem schrecklichen Genre an.
MN: Es ist also nicht notwendigerweise die Region, sondern der Sound?
OvE: Genau. Eine interessante Tatsache ist, dass im isolierten Osteuropa später angefangen wurde, elektronische Musik zu produzieren als in anderen Ländern. Dennoch ist es möglich, viele grossartiges elektronisches Stücke aus den 1980er Jahren aus diesen Ländern zu finden. Ich finde es aufregend, diese Musik dort vor Ort zu suchen, da gibt es noch sehr viel zu entdecken.
MN: Du arbeitest für Rush Hour und bist daher qua Berufsbeschreibung mit einem sehr guten Plattenladen assoziiert. Wie suchst du nach neuen Platten?
OvE: Was Plattenläden angeht, sind wir in Amsterdam verwöhnt. Es gibt einige sehr gute Läden, deswegen ist es möglich, bereits hier sehr gute Platten zu finden. Und es ist natürlich einfach, Platten in dem Laden zu kaufen, in dem man selber arbeitet. Das machen aber alle und im Endeffekt kaufen dann alle die gleichen Re-Issues afrikanischer Platten. In Amsterdam gibt es ausserdem sehr viele Leute, welche all die seltenen Platten kennen und genau wissen wo und wie sie danach suchen müssen. Meist ist es reizvoller, ausserhalb von Amsterdam zu suchen, an Orten wo die Szene nicht so gross ist. Die Konkurrenz ist gross und intensiv.
MN: Du hast schon einige Sachen mit anderen Leuten gemacht, Robert Bergmann zum Beispiel oder Jeroen auf deiner neuen Platte. Wie stehst du zu Kollaborationen?
OvE: Robert ist ein sehr guter Freund von mir. Als junger Produzent ist es meiner Meinung nach wichtig, auch andere Leute zu beobachten und zu sehen, wie sie arbeiten. Man lernt zum Beispiel viel, wenn man sich ein Studio teilt. Ins Studio zu gehen ist meistens ein recht isolierter Prozess und das Produzieren von Musik in erster Linie von einem selbst beeinflusst. Wenn man sich jedoch in manchen Momenten nicht sicher ist, was das Ergebnis angeht, ist es gut fähige Leute in der Nähe zu haben.
MN: Du produzierst ausschliesslich mit Hardware und bist kürzlich in dein eigenes Studio im Red Light Complex gezogen, wie läuft das?
OvE: Ich baue es langsam aber stetig wieder zusammen. Der Arbeitsprozess macht es vor allem spannend, mit Hardware und nicht mit dem Computer zu produzieren. Der kreative Part ist faszinierend. Der Computer ist in seinen Möglichkeiten endlos. du kannst aus 10 000 verschiedenen Reverbs wählen und bist selbst dann noch lange nicht am Ende. Mit alter Hardware sind die Möglichkeiten hingegen begrenzt – aber natürlich immer noch gross. Ausserdem muss man nicht ewig versuchen, es wie Hardware klingen zu lassen. Das erlaubt, mehr Zeit auf den kreativen Prozess des Produzierens zu verwenden.
MN: Hast du je darüber nachgedacht Live zu spielen?
OvE: Das habe ich bisher zwei Mal getan. Das erste Mal gemeinsam mit Das Ding. Wir wurden eingeladen, in Nijmegen zusammen ein Projekt zu machen. Uns wurde ein Studio mit Unmengen an Hardware zur Verfügung gestellt und wir produzierten zwei Tage lang. Am Ende spielten wir mit dem Material eine Live-Show, welche recht interessante Ergebnisse geliefert hat. Eine andere Live-Show, für die ich hauptsächlich Synthesizer genutzt habe, habe ich nach den Konzerten des Minimal Music Festival hier in Amsterdam gespielt. Ich finde die Idee, mein eigenes Material Live umzusetzen verlockend, aber ein Konzept dafür entsteht nicht über Nacht.
MN: Ich war letztes Jahr während des ADE in Amsterdam und habe dich in einem Fussball-Turnier hier in De School spielen sehen. Und du spielst ziemlich gut! Was ist die Geschichte dahinter?
OvE: Fussball ist in den Niederlanden ein Riesending und mein Vater war ziemlich Fussballbegeistert: er war Trainer in den Niederlanden und hat ausserdem für sechs Jahre Nachwuchsspieler auf Curacao trainiert. Ich bin mit Fussball gross geworden und habe mein ganzes Leben lang im Verein gespielt, bis ich mit 19 nach Amsterdam gezogen bin.
MN: Bist du in der Ajax Fanszene involviert?
OvE: Das interessiert mich nicht besonders. Ich spiele aber immer noch gerne selber. Wir haben mit einigen Freunden ein Team, aber das Training ist am Sonntag, was es für mich momentan quasi unmöglich macht, mitzuspielen. Ich habe mir letztes Jahr während des ADE ausserdem meinen Knöchel verletzt und seitdem noch nicht wieder oft auf dem Platz gestanden.
MN: Daran kann ich mich erinnern. Ein Freund hat mir davon erzählt und gesagt, du musstest an dem Wochenende noch drei Gigs spielen?
OvE: Ich habe verletzt drei weitere Spiele gemacht und musste am nächsten Tag im Boiler Room auflegen. Ich dachte, das wäre kein Problem, aber als ich am Tag darauf wach wurde, konnte ich nicht einmal richtig laufen. Ich habe meinen Bruder gebeten, mir Krücken zu organisieren, aber ich wollte nicht unbedingt auf Krücken im Boiler Room spielen, also habe ich die Zähne zusammengebissen. Ich tanze nicht so viel, deswegen ging es.
MN: Lass uns über die Verbindung von Musik und Fussball sprechen. Kennst du Boys Own, das Fanzine, das Andrew Weatherhall in den 1980er rausgebracht hat und sich mit Hooligankultur und Acid House auseinandersetzt?
OvE: Ja, dem bin ich schon einmal irgendwo begegnet. Es gibt definitiv eine Überschneidung zwischen diesen beiden Dingen, Hooligan-Kultur und Acid House. In den Niederlanden könnte man möglicherweise über eine ähnliche Verbindung mit der Gabber Szene nachdenken. Sie berufen sich auf Codes und Symbole, die durchaus Ähnlichkeiten zu solchen haben, die man im Fussballstadion sieht. Aber wenn ich mich in meiner Szene umschaue oder bei den Leuten, mit denen ich zu tun habe, ist das keine besonders präsente Verbindung mehr.
MN: War die Gabber Szene je ein Thema für dich?
OvE: Nicht wirklich, dafür war ich zu jung. Mein Bruder war da stärker involviert, aber auch ein wenig zu jung. Er war ungefähr 14 und ich 11. Manchmal hört mein Bruder die Musik noch, aber ich finde da keinen Zugang zu. Als ich anfing auszugehen war ich auch auf den grossen Festivals wie dem Awakenings. Dort gab es immer eine Bühne, auf der ziemlich harter Techno lief. DJ Rush oder Frank Kvitta haben dort aufgelegt. Das fand ich spannend, aber viel weiter ging das Interesse nicht, bis in die Szene habe ich es nie geschafft.