Published in: zweikommasieben Magazin #18
upsammy - Breaking Things
Selten kann sich die fragmentierte Szene für elektronische Musik auf irgendetwas einigen, ausser nicht einer Meinung zu sein. Je nach Perspektive sind Sachen zu seltsam, zu glattgebügelt, zu populär oder zu vorhersehbar. Manchmal allerdings scheint alles zu stimmen und jemand oder etwas erfüllt alle Anforderungen und Erwartungen. Thessa Torsing aka upsammy, die mittlerweile aus ihrer Heimatstadt Utrecht nach Amsterdam gezogen ist, scheint die magische Formel zur Lösung dieser Quadratur des Kreises gefunden zu haben. Ihre gleichzeitig komplexen und zugänglichen Produktionen oszillieren zwischen psychedelisch, elektronisch und atmosphärisch und wurden auf Labels wie Die Orakel, Whities’ Blue-Serie und Rotterdams Nous’klaer Audio, ihrem Hauslabel, veröffentlicht.
Neben der Arbeit als Produzentin legt Torsing ebenfalls in vielen der wichtigen Klubs dieser Welt auf, wobei sich ihr Tourkalender stetig füllt. Die Karriere der Niederländerin nimmt Form an, was sie zu einer interessanten Gesprächspartnerin macht. Dies stellte Mathis Neuhaus fest, der sich für zweikommasieben mit Torsing im Eye Film Museum in Amsterdam im August 2018 traf. Dort wurde während des Dekmantel Festivals ein alter Experimentalfilm gezeigt, für den die Musikerin einen neuen Soundtrack produzierte. Das Gespräch zwischen Torsing und Neuhaus dreht sich um eine kürzlich von ihr realisierte Installation, die Frage, wie sie sich als Künstlerin positioniert und den Klub als räumliche Erfahrung.
Mathis Neuhaus: Zu Beginn würde ich mit dir gerne über A Memorial For Conflict And A Symphony For Healing sprechen, eine Installation, die du vor kurzem realisiert hast…
Thessa Torsing: Ausgangspunkt für dieses Projekt war mein Wunsch, ein interaktives Monument zu bauen. Mit einem Monument wird für gewöhnlich an etwas erinnert, das bereits passiert ist. Ich aber wollte die Möglichkeit eröffnen, darüber nachzudenken, was noch passieren wird. Zudem lässt sich auch durch den Blick in die Vergangenheit oft etwas über die Zukunft sagen, deswegen war meine Idee ein gemeinsames Monument für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bauen.
MN: Wie hast du das umgesetzt?
TT: Ich suchte nach Feldaufnahmen von Narben in der Landschaft als Symbolträger – Narben im Sinne von uns Menschen, die Spuren hinterlassen: Drohnenbilder vom zerstörten Aleppo oder Bombenkrater in Frankreich. Indem ich altes und neues Material verwendete, wollte ich aufzeigen, dass die Geschichte sich immer wieder wiederholt und wir Menschen dem Drang nicht wiederstehen können, Dinge aufzubauen und wieder einzureissen. Das ist eine eher pessimistische Perspektive, aber ich fand es wichtig, dieser Beobachtung ein Monument zu widmen. Und ich denke, diese Spannung spielt in irgendeiner Form bei jedem von uns seine Rolle.
MN: Ist das ein Thema, das dich schon lange beschäftigt?
TT: Zerstörung ist ein Thema, das mich schon lange begleitet, ja. Ich bin fasziniert von dem niemals endenden Kreislauf des Aufbauens, Zerstörens und Neubauens. Diese konstante, der Zerstörung immanenten Weiterentwicklung fasziniert mich. Ebenso faszinierend finde ich die Verlassenheit alter und leerstehender Gebäude, die auseinanderfallen und sich in einer Art Schwebezustand befinden: bis sich irgendjemand dazu entscheidet, sie komplett zu zerstören und etwas Neues zu bauen. Mein Monument besteht aus Betonblöcken, einem Wasserbecken und Sand. Nachdem die Ausstellung beendet war, habe ich das Werk in der Garage meiner Grossmutter eingelagert, weil es zu gross für meine Wohnung ist. Ich musste es trotzdem auseinanderbauen, was im Sinne der Installation möglicherweise genau das richtige war.
MN: War auch Sound involviert?
TT: Ja, ich habe mit Kontaktmikrofonen gearbeitet, um eine Klangwelt zu kreieren. Ich habe kleine Steine auf ein Holzbrett gelegt und das Mikrofon am Brett befestigt. Ich bin auf den Steinen gelaufen und das Mikrofon hat die Vibrationen aufgenommen, da es nur die Geräusche aufnimmt, die sich in unmittelbarer Berührung mit ihm befinden. Man könnte also in das Mikrofon sprechen, ohne, dass etwas aufgenommen wird, aber wenn man seine Lippen dagegen presst, würde das Mikrofon die Vibrationen aufnehmen. Ich habe auch gedämpfte Schussgeräusche verwendet, die sich anhörten, als kämen sie aus weiter Entfernung. Das passte gut zu den Drohnenaufnahmen und hörte sich an, als wäre es Teil des Filmmaterials. Das Monument hatte Charakteristika einer Ruine, und wenn man es betrat, fühlte man sich, als wäre man in einem Kriegsgebiet, aber gleichzeitig weit davon entfernt. Die eine Perspektive war geprägt durch Nähe und Schmerz, die andere durch Distanz: so konnte man erfahren, wie alles miteinander verbunden ist.
MN: Der Titel der Installation ist mir im Kopf geblieben… Titel spielen auch eine wichtige Rolle für (deine) Musik. Wie gehst du damit um?
TT: Für gewöhnlich verweise ich mit meinen Titeln auf ein bestimmtes Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort. Natürlich in abstrahierter Art und Weise, aber dennoch zumeist in diesem konzeptionellen Konstrukt. Die Orte und Gefühle sind nicht fiktiv, sondern Erinnerungen, die mir wichtig sind. Bisweilen sind die Titel allerdings auch zufällig, wie «Dancing Faries». Ein Titel, der eine Bedeutung hat, ist «Words R Inert». Ich habe manchmal das Gefühl, Worte sind nicht mein bestes Werkzeug, um mich auszudrücken – sie sind oft nutzlos. Eine Emotion mit Worten zu artikulieren verschleiert immer das ursprüngliche Gefühl; Musik funktioniert da besser und unmittelbarer. Das spielt auch eine Rolle in der Art und Weise, wie ich produziere: die Stücke, mit denen ich am zufriedensten bin, entstehen meist an einem Tag intensiver Arbeit. Dann weiss ich, dass das Stück die Emotion, die ich einfangen wollte, am klarsten transportiert. Wenn ich danach noch zu viel daran weiterarbeite, zerstört das die Emotion, die überhaupt erst dazu führte, das Stück zu produzieren. Manchmal arbeite ich an alten Skizzen weiter und versuche, neue Energien einfliessen zu lassen, die oft die Stimmung komplett verändern, aber die meisten Stücke entstehen schnell und verbunden mit einem direkten Gefühl.
MN: Wie verhalten sich das Visuelle und Musikalische für dich zueinander?
TT: Ich war während einer Zeit VJ und damals realisierte ich, dass Videos ein sehr wichtiges Element des Nachtlebens sein können. Aber die Musik ist immer noch das Wichtigste. Als ich für das Visuelle einer Nacht verantwortlich war, sehnte ich mich danach, den musikalischen Teil zu gestalten. Ich wollte DJ sein. Als ich mein Studium an der Hogeschool voor den Kunsten in Utrecht begann, war mein ursprünglicher Plan, Musikvideos zu machen. Ich mochte schliesslich Videos und Musik. Also widmete ich mich Musikvideos und ich glaube, das erlaubte mir, freier an meiner eigenen Musik zu arbeiten, da sie nie an eine Institution andocken und bestimmte Parameter erfüllen musste.
MN: Für eine Kollaboration zwischen RE:VIVE und Dekmantel Festival hast du einen neuen Soundtrack für einen alten Experimentalfilm – Uit het Rijk der Kristallen aus dem Jahre 1927 von J.C. Mol – geschrieben. Es scheint, mit einem solchen Projekt hast du den perfekten Mittelweg zwischen dem Visuellen und Musikalischen gefunden?
TT: Das stimmt und ich will weiterhin an solchen Projekten arbeiten. Was mich an der Kunstschule nervte, war der Zwang, immer eine Geschichte erzählen zu müssen, besonders im Medium Film. Ich will keine Geschichte erzählen, ich will ein Gefühl transportieren. Mittlerweile denke ich, dass ich in meiner Musik tatsächlich manchmal vielleicht doch eine Geschichte erzählen will. Es sollte nicht immer nur um den Klub gehen und ich möchte mich nicht darauf festlegen, immer nur in Klubs zu spielen. Es gibt vieles ausserhalb dieser Grenzen, das ich spannend finde. Ich möchte Live-Sets spielen und mit anderen Musikerinnen und Freunden kollaborieren, um audiovisuelle Erfahrungen zu kreieren, die sich nicht vom institutionellen Rahmen eines Klubs einschränken lassen.
MN: Wie behältst du den Überblick über das, was dich inspiriert? Hast du ein Archiv?
TT: Ich hatte mal ein Skizzenbuch, mit Papieren, Notizen und Zeichnungen. Heute ist das eher mein Zimmer. Mir gefällt es, meine direkte Umgebung mit Dingen zu füllen, die mich inspirieren, aber das würde ich nicht als Archiv bezeichnen.
MN: In einem Gespräch, das wir vor einigen Wochen führten, sprachen wir über die sinnvolle Nutzung von Instagram. Hast du in der Zwischenzeit einen zufriedenstellenden Weg gefunden?
TT: Was ich mit meinem Instagram-Account versuche, ist ähnlich zu dem, was ich mit meiner Musik mache. Ich möchte bestimmte Emotionen ausdrücken durch Fotos, die sich auf die vergangene oder noch kommende Nacht beziehen. Es ist natürlich ein anderes Medium, deswegen kann es nicht vollständig die Musik widerspiegeln, aber es ist ebenfalls ein sehr direkter Weg, Gefühle zu vermitteln. Ich nutze ausserdem nur eigene Bilder – ich habe früher ab und zu Flyer von Events verwendet und mir ist aufgefallen, dass ich mich nicht wohl damit fühlte, Bilder anderer auf meinem Account zu haben. Das ist mein Kanal und das Artwork anderer darauf zu verwenden, führte dazu, dass es sich einfach wie ein weiterer Promo-Feed anfühlte. Es ist schwierig, da die Balance zu halten, denn natürlich will auch ich für mich werben, aber auf meine eigene Art und Weise. Generell ist für mich die grösste Herausforderung, mir selber so treu zu bleiben, wie nur irgendwie möglich.
MN: Deine Karriere nimmt Fahrt auf und ich kann mir vorstellen, dass du viele Anfragen von Labels, Klubs oder Personen bekommst, die mit dir arbeiten wollen. Wie gehst du damit um?
TT: In letzter Zeit habe ich viele E-Mails ignoriert, oder, anders gesagt: Ich habe mir viel Zeit genommen, sie zu beantworten. Ich muss über solche Anfragen nachdenken und ich möchte mich mit Entscheidungen nicht hetzen, um sie später zu bereuen. Ich will mein eigenes Ding auf meine eigene Art machen und wenn jemand anderes mir vorschlägt, wie man etwas machen könnte, dann fühlt sich das nicht so an, als wäre das noch mein individueller künstlerischer Ausdruck. Aber obwohl ich mir viel Zeit nehme, Dinge zu entscheiden, ist auch viel Intuition mit im Spiel. Eine für mich richtig formulierte E-Mail kann mich etwa dazu überzeugen, etwas zu machen. Die Frage, wie ich meine Karriere formen möchte, hat in letzter Zeit viel Raum eingenommen und das gefällt mir nur bedingt, obwohl es natürlich toll ist, diese Karriere überhaupt zu haben. Diese Fragen lenken mich aber davon ab, Musik zu produzieren. Und ich will unbeschwert produzieren, nicht mit dem Gedanken im Hinterkopf, ob ich damit genug Geld verdiene oder die richtigen Gigs bekomme.
MN: Das Label, mit dem du vorwiegend assoziiert wirst, ist Nous’klar aus Rotterdam. Wie ist diese Beziehung entstanden?
TT Ich kenne Sjoerd Oberman, der das Label mit seinen beiden Brüdern betreibt, seit eineinhalb Jahren. Er war der erste, der Musik von mir veröffentlichen wollte und unsere Beziehung entwickelte sich natürlich, nicht gezwungen, weiter. Mir gefällt es auch, ein niederländisches Label als Homebase zu haben. Sjoerd machte mir den Einstieg in diese Welt leicht und hat mich von Anfang an unterstützt, wo er nur konnte: Wenn ich auf einem anderen Label veröffentlichen wollte, hat er meine Musik weitergetragen, so gut er nur konnte. Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Mentoring. Und es fühlt sich echt an: ich finde es wichtig, mit warmen, freundlichen Menschen zu arbeiten. Und es ist schön, gemeinsam zu wachsen, denn auch das Label erfährt in letzter Zeit immer mehr Beachtung.
MN: Deine Arbeit erscheint mir als starke räumliche Erfahrung. Man könnte sagen, dass das auch im Klub eine wichtige Rolle spielt. War das etwas, was dich an Klubs interessierte?
TT: Die ersten Raves besuchte ich im Alter von 15 oder 16 Jahren. Mir gefiel es, in irgendwelche mysteriösen Gebäude einzusteigen und ich glaube, das spielte eine grosse Rolle in meiner Wahrnehmung dieser Zeit. Unregulierte Umgebungen fühlen sich abenteuerlich an, nicht nur, weil sie oft illegal sind, sondern weil sie Möglichkeitsräume eröffnen. Der Raum ist sehr wichtig. Jetzt, wo ich häufiger auflege, fällt mir auch auf, dass ich in unterschiedlichen Räumen unterschiedliche spiele. In einen sehr dunklen Raum passt für mich keine leichte, glückliche Musik, wobei mir bewusst ist, dass andere Menschen wohl anders darüber nachdenken. Wenn ich weiss, was für ein Raum mich erwartet, bereite ich mich manchmal auch mehr vor. Mit strengen Playlists und viel Nachdenken. Aber dann komme ich an und realisiere, dass doch andere Musik besser passen würde. Es ist ein konstantes Tauziehen zwischen Vorbereitung und Flexibilität.
MN: Und ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder Raum, in dem du spielst, der Heilige Grahl in Bezug auf die räumliche Erfahrung ist oder dass er so viel Charakter hat, dass er nach einer spezifischen Art von Musik verlangt?
TT: Das stimmt. Dies erlaubt es mir aber auch, mehr zu riskieren, da diese Orte nicht so vorgeprägt sind. Vor langer Zeit spielte ich in einem Keller in Groningen und habe versucht, mir den Raum vorzustellen, bevor ich ankam. Und dann war das der kleinste Klub, den ich je gesehen habe. Das hat für mich sehr gut funktioniert, denn obwohl ich versuchte, mir den Ort vorzustellen, habe ich nicht erwartet, richtig zu liegen. Ich habe gelernt, dass es leichter sein kann, einen Raum musikalisch in Besitz zu nehmen, wenn ich davor nicht zu viel darüber nachdenke. Andersherum gibt es Orte und Räume, die eine Reputation für einen bestimmten Sound haben und ich bin auch daran interessiert, das herauszufordern. Ich spiele Musik, die ich aufregend finde, denn in erster Linie muss sie mir gefallen. Und wenn sie mir wirklich gefällt, dann springt der Funke hoffentlich auch auf andere über.