Published in: Lack #10: off-color
Diesseits und jenseits von Identität: Zum Umgang mit Hautfarbe bei Pamela Rosenkranz und Arthur Jafa
Was sich derzeit in identitätspolitischen Debatten global zuspitzt, lässt sich auch anhand von künstlerischen Strategien beobachten. Der freie Zürcher Kulturjournalist Mathis Neuhaus versucht anhand ausgewählter Arbeiten von Pamela Rosenkranz und Arthur Jafa aufzuzeigen, wie sich möglicherweise diesseits und jenseits eines Bekenntnisses zu dem, was man im Deutschen historisch bedingt verschämt nur noch Hautfarbe nennt, während das Englische den Begriff der «race» auch im Alltag noch kennt, an kritischem Potential findet. Rosenkranz’ post-identitärer, spekulativer Materialismus einerseits und Jafas identifikatorische Ästhetik andererseits, ermöglichen für Neuhaus beide den weiterhin dringlichen, konstruktiven Dialog darüber, wessen wir uns zugehörig fühlen.
Margaret Talbot hat im Oktober 2018 eine erstaunliche Reportage im New Yorker vorgelegt. «The Myth Of Whiteness In Classical Sculpture»[1] berichtet über einen kunsthistorischen und archäologischen Forschungszweig, dessen Anfänge in die 1980er Jahre zurückreichen. Zunächst in Deutschland und einige Jahre später ebenfalls in den USA begann dieser sich mit der Farbigkeit von Skulpturen und Statuen im antiken Griechenlands und im Römischen Reich auseinanderzusetzen und erkannte, dass antike Statuen niemals ausschliesslich weiss waren, sondern ein (Haut-)Farbenspektrum abbildeten. Diese Erkenntnis entblösst, dass über Jahrhunderte – in einem «Akt der kollektiven Blindheit» – die Farbe weiss mit «Schönheit, Geschmack und Ideen der antiken Hochkultur» gleichgesetzt wurde und alles Farbige «als fremd, lustbetont und grell»[2] galt. Diese Kollektivleistung entfaltet ihre Tiefenwirkungen bis in unsere Gegenwart, wie etwa der Fall der rassistischen Vereinigung Identity Evropa zeigt, die auf Postern weisse Marmorskulpturen als Embleme eines weissen Nationalismus verwendet hat. Rechtsradikale Gruppen, so Talbot, fühlten sich eben möglicherweise genau darum zur Antike hingezogen, weil sie glauben, eine «ungebrochene Abstammungslinie weisser, westlicher Kultur bis in das antike Griechenland»[3] nachvollziehen zu können. Kurz: Das fälschlicherweise zu deren tatsächlicher Farbe erklärte Weiss-Sein der Statuen und dessen Status als Hautfarbe wurde ideologisch instrumentalisiert, um einen Herrschaftsanspruch geltend zu machen.
Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen versucht wurde oder wird, Kunstwerke ihrer Autonomie als ebensolche zu entledigen und sie in Machtdiskurse einzugliedern, die sich die Kontexte der Arbeiten zu Nutze machen wollen. Hautfarben bergen qua Sujet besonders viel Potenzial für eine ideologische Vereinnahmung. Für die Schweizerin Pamela Rosenkranz (*1979) ist die Auseinandersetzung mit ihnen trotzdem (oder deswegen?) zentraler Teil eines künstlerischen Werkes, das sich oft mit der Materialität dessen beschäftigt, was für gewöhnlich als immateriell begriffen wird. Ein unsentimentaler Umgang mit der eigenen Körperlichkeit definiert ihre Arbeit daher genauso wie minutiöse Recherchen des Philosophischen und Medizinischen. In einem Gespräch mit der Autorin und Kuratorin Aoife Rosenmeyer skizziert Rosenkranz ihre eigene künstlerische Agenda unter anderem mit der Leitfrage: «Woraus bestehen unsere Körper und warum lässt uns das fühlen, was wir fühlen?»[4] Man könnte ihren Werken eine gewisse formale Kälte vorwerfen, wenn sie dickflüssige, in verschiedenen Hauttönen gefärbte Flüssigkeit in Fiji- oder Evian-Wasserflaschen füllt und diese dann in oft eher leeren Ausstellungsräumen platziert. Oder wenn sie eine Serie fotokopierter bunter Alltags-Tabletten (Antidepressiva, Schmerzmittel, leistungssteigernde Aufputschmittel) präsentiert. Man könnte aber auch dafür argumentieren, dass Pamela Rosenkranz durch ihren technisch-formalen Pragmatismus einer Mystifizierung des Ich-Seins und des Subjektiven entgegenwirkt. So lotet sie die Möglichkeiten und Potenziale fluider Identitäten aus, die sich über psychische und physische Aspekte hinausbewegen. Das ganze Spektrum von Hautfarben reduziert sie zu monochromen, chemisch hergestellten Flüssigkeiten und somit, in letzter Konsequenz, zu entideologisiertem Material. So äusserte die Künstlerin dann auch im Gespräch mit Aoife Rosenmeyer die Hoffnung: «Vielleicht [kann Identität] gar entbehrlich [werden]. Es wäre toll, tradierte Identitätsmerkmale zu überwinden. Männlich, weiblich, dunkel, blass, freundlich, gemein, und so weiter – das alles ist relativ in unserer psychologischen und physiologischen Struktur.»[5]
Es fragt sich, ob Rosenkranz’ Hoffnung nicht als Ausdruck eines zentraleuropäischen und privilegierten Pragmatismus kritisiert werden könnte, der die Lebensrealität solcher ausklammert, die nicht in der gleichen Warte sitzen. Der utopische Status des Post-Identitären ist ein Wunsch, dem vermutlich ein Künstler aus Tupelo, Mississippi wie Arthur Jafa (*1960) wiedersprechen würde. Jafa setzt sich in seiner Kunst dezidiert mit afroamerikanischer Kultur auseinander und verhandelt die Frage, was es in den USA der Gegenwart heisst, schwarz zu sein. Sein siebenminütiges Schlüsselwerk Love Is The Message, The Message Is Death aus dem Jahr 2016 lässt sich als identitätspolitische Arbeit in der Tradition der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung der späten 1960er Jahre begreifen. Die Filmcollage, musikalisch unterlegt mit Kanye Wests «Ultralight Beam», zeigt unter anderem, wie ein weisser Polizist den unbewaffneten Afroamerikaner Walter Scott erschiesst; wie Muhammad Ali boxt; wie Beyoncé tanzt; wie Barack Obama «Amazing Grace» singt und wie einem schwarzen Kind gesagt wird: «That’s what the police do to you. Put your hands up against the wall.» In Jafas Werk wird eine minoritäre Identität als emanzipatorische Kraft beschworen. Erfahrungen von Unterdrückung und Exklusion, aber auch Erfahrungen von Exzellenz ermöglichen die Identifikation, verweigern jedoch trotzdem nicht einen konstruktiven Dialog und ermöglichen Anschluss. In einem Interview mit Nate Freeman von ArtNews sagt der Künstler: «Ich habe vermutet, dass die Arbeit Schwarze berühren würde, aber was ich nicht erwartete, war, wie sehr sie auch Weisse, oder Nichtschwarze, berührte. Ich werde nicht den Schiedsrichter darüber geben, wessen Reaktionen legitim sind, das auf keinen Fall, aber das überraschte mich.»[6] Arthur Jafas künstlerisches Schaffen dreht sich um diese Überlegungen zu Handlungsmacht, Repräsentation und Deutungshoheit. Wer spricht – und für wen?
Pamela Rosenkranz’ Arbeiten verweigern Antworten auf ebendiese Fragen und versuchen, «fluide» Vorschläge der Identitätsbildung zu skizzieren. Mag ein solcher Zustand auch erstrebenswert sein, so lässt sich fragen: Wird er der Realität gerecht? Rosenkranz trifft mit ihren Überlegungen einen Nerv der Zeit: Identitätskonstruktion und Selbstverwirklichung sind in unserer Gegenwart zu einem in alle denkbaren Richtungen ausdiffundierenden Prozess geworden. Identität ist zwar noch nicht entbehrlich, wie die Künstlerin hofft, aber doch deutlich komplexer geworden als noch vor wenigen Jahren. Sexuelle Orientierungen, Geschlechter, sozioökonomische Positionen und, ja, auch Hautfarben sind vielfältiger und durchlässiger – und werden gleichzeitig stärker und polarisierender diskutiert denn je. Man denke hier – zur Verbildlichung – an eine tragische Figur der Populärkultur wie Michael Jackson, die auch bei Arthur Jafa immer wieder auftaucht und an deren Zerrissenheit und Kampf, soziale und physische Grenzen zu überwinden. Auch Pamela Rosenkranz hat Jackson in ihrer Arbeit «Skin Pool» thematisiert, die sie 2014 für die Gruppenausstellung Elevation 1049 in Gstaad realisierte.
Rosenkranz schlägt in ihrem künstlerischen Werk eine Welt vor, in der Hautfarbe zu einem reinen Material reduziert worden ist – jenseits aller Ideologien. Es handelt sich um ein spekulatives Aufzeichnen der zig Verbindungslinien, die ein Andocken ausserhalb tradierter Urteilsmuster und Bewertungskriterien ermöglichen können. Arthur Jafas Arbeiten bilden eine Antithese zu dieser künstlerischen Strategie. Sie sind ein Parteiergreifen für eine historisch unterdrückte Minderheit und verwenden «schwarzes» Vokabular, das die eigene Identität zum ästhetischen Prinzip erhebt, sie durchdekliniert und in jeglichen Facetten beleuchtet. Pamela Rosenkranz und Arthur Jafa öffnen jedoch beide Resonanzräume und forcieren eine Diskussion über den Umgang, die Wahrnehmung und Implikationen von Hautfarben. Beide Positionen ermöglichen damit bestenfalls eine konstruktive Auseinandersetzung mit zahllosen Fragen und Facetten von Identitätspolitik und es gilt Jafa beim Wort zu nehmen, und nicht den Schiedsrichter darüber zu geben, welche der beiden die legitimere ist.
[1] Talbot, Margaret: The Myth Of Whiteness In Classical Sculpture. In: The New Yorker, October 29th Issue, 2018. Aufgerufen unter: https://www.newyorker.com/magazine/2018/10/29/the-myth-of-whiteness-in-classical-sculpture (30. Dezember 2018)[2] ebd.[3] ebd.[4] Rosenmeyer, Aoife: In the Studio: Pamela Rosenkranz. In: Art in America, 5th January Issue, 2015. Aufgerufen unter: https://www.artinamericamagazine.com/news-features/magazines/in-the-studio-pamela-rosenkranz/ (30. Dezember 2018)[5] ebd.[6] Freeman, Nate: The Messenger. How a Video by Arthur Jafa Became a Worldwide Sensation – and Described America to Itself. In: ArtNews, Spring 2018 Issue. Aufgerufen unter: http://www.artnews.com/2018/03/27/icons-arthur-jafa/ (15. Januar 2019)